Im Rahmen meines Schreibkurses Bausteinkasten Schreiben bekam ich von einer Autorin einen Text, der mich tief bewegt hat. Ich möchte ihn euch nicht vorenthalten. Danke, Christine, dass ich ihn veröffentlichen darf!
Als ich mir ein Thema für die zweite Lektion meines Bausteinkasten Schreiben überlegte, suchte ich nach einer optimalen Möglichkeit, das Erklären und Begründen zu üben. Das Ergebnis war die Aufgabenstellung: Schreib ein Plädoyer! Fast alle Texte, die mich im Rahmen dieser Lektion erreichen, sind sehr emotional. Aber keiner traf mich bisher so tief wie Christines. Denn: Was nützt Kunst, wenn sie nicht provozieren und wachrütteln darf? Aber lest selbst:
„Hohes Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer eine empfindliche Freiheitsstrafe und glaubt, hier einen Fall von besonders schwerer Beleidigung ahnden zu müssen.
Wir folgen der Anklage gerne in soweit, als dass wir die persönliche Würde eines Menschen für absolut schützenswert halten. Einer zunehmenden Verrohung in der sogenannten Spaßgesellschaft wollen wir ganz entschieden entgegentreten.
Auch stimmen wir zu, dass es niemand verdient hat als – entschuldigen Sie das Zitat – Ziegenficker oder Kinderschänder diffamiert zu werden. Es kann nicht angehen, dass jeder straflos alles über jeden sagen, schreiben oder verbreiten darf und es trägt sicher nicht zur Völkerverständigung bei, wenn fremde Staatsoberhäupter diskreditiert werden. Auch steht es außer Frage, dass eine wertschätzend oder wenigstens sachlich formulierte Kritik konstruktiver wirkt als zotige Reime.
Aber schauen wir einmal genauer hin. Was hat es denn nun wirklich auf sich mit dem inzwischen hinreichend bekannten und europaweit diskutierten Fall der Schmähkritik des Herrn Böhmermann am Staatspräsidenten Erdogan?
Der bekannte Moderator einer satirischen Fernsehsendung hat einen Beitrag veröffentlicht, der nicht als satirisch, sondern als beleidigend aufgefasst wurde. Die einzig relevanten Fragen sind jetzt:
Wie unterscheiden wir zwischen Satire und einer persönliche Beleidigung? Nach Wikipedia ist Satire die offene, oft boshafte Bloßstellung eines Gegenstandes oder einer Person, mit dem Ziel, sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Überzeichnung ist ein wesentliches Stilmittel respektloser Verspottung gerichtet gegen die Mächtigen.
Als Beleidigung im strafrechtlichen Sinn werden Äußerungen und Handlungen, die diffamierend oder herabwürdigend gegenüber anderen Personen oder Personengruppen sind, bezeichnet.
Somit ergibt sich schon aus der reinen Definition der beiden Begriffe Satire und Beleidigung, dass sie Gegensätze darstellen. Satire ohne beleidigende Aspekte wäre gar keine Satire, sondern es ist geradezu die erklärte Absicht eines satirischen Beitrages, jemanden oder etwas lächerlich zu machen. Eine Beleidigung im psychologischen Sinne ist immer dann gegeben, wenn jemand ins Lächerliche gezogen wird.
Sie sehen also, dass Satire und Beleidigung eigentlich vom Wortsinn her zusammengehören. Ich betone: eigentlich.
Ich werde gleich noch näher darauf eingehen, warum das im strafrechtlichen Sinne eine Rolle spielt.
An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs zur Majestätsbeleidigung erlaubt, obwohl diese nicht Gegenstand unsrer Verhandlung ist.“
„Einspruch euer Ehren!“ Der Staatsanwalt sprang wie von einer Tarantel gestochen auf. „Die Verteidigung sagt es ja schon selbst, dass dies nicht Gegenstand unsrer Verhandlung ist.“
Der Richter blickte ihn über den Rand seiner Lesebrille hinweg scharf an:
„Herr Staatsanwalt, lassen Sie die Kollegin doch bitte zuerst ausführen, worauf sie hinaus will. Ich entscheide dann, ob es relevant ist, oder nicht.“ Er nickte der Anwältin zu.
„Vielen Dank, Euer Ehren. Es geht mir hier darum, Herrn Erdogan näher zu beleuchten. Er klagt nämlich nicht nur als Privatperson, sondern auch als Staatsoberhaupt nach Paragraph 103. Dieser Paragraph stammt aus dem Jahr 1871 und verspricht bis zu lebenslänglichem Zuchthaus für den Angeklagten, der eine Majestät beleidigt. Nun haben wir heute nicht mehr allzu viele Könige und die Zuchthäuser nennen sich Gefängnisse. Die wenigen Majestäten, die es noch gibt, genießen längst nicht mehr jenen unangreifbaren Status von anno dazumal. Es gibt Bestrebungen den Paragraphen 103 als nicht mehr zeitgemäß völlig abzuschaffen. Es obliegt nun einmal nicht einer Regierung, darüber zu befinden, ob eine Beleidigung vorliegt. Und genau das müsste sie tun, wenn sie dem Antrag auf Strafverfolgung wegen Beleidigung zustimmt, ohne den kein Verfahren eröffnet werden kann.
Unsere Bundeskanzlerin hat bereits die Erlaubnis zur Anzeige gegeben und steht damit heftig in der Kritik.
Herr Erdogan steht in dem Ruf, eine leicht kränkbare Person zu sein, was übrigens in psychiatrischen Fachkreisen für ein Zeichen narzisstischer Persönlichkeitsstörung gehalten wird. Kritiker haben gezählt, dass der derzeitige türkische Staatspräsident bereits 2000 Klagen angestrengt haben soll mit 10.000 anhängigen Verfahren, nicht mitgezählt dabei die Zivilklagen, also Anzeigen, in denen er zusätzlich noch als Privatperson klagt. Wohlgemerkt wegen Beleidigung. Wir hörten von zahlreichen Urteilen, die mit Geldstrafen, Entlassungen und sogar Haftstrafen gegen Lehrer, Journalisten und Oppositionspolitiker geahndet wurden.
Dies kann nicht mehr Narzissmus, sondern muss vielmehr politisch motivierte Einschüchterung und Abschreckung genannt werden. Zweitausend Klagen. Lassen wir uns das einmal auf der Zunge zergehen. Sind die türkischen Oppositionellen tatsächlich so bösartig? Haben sie eine derart schlechte Kinderstube? Wohl kaum. Ich nenne das Narzissmus und politisch motivierte Abschreckung. Das war schon von jeher ein beliebtes Mittel von Diktaturen, um ihre Kritiker einzuschüchtern.
So etwas geschieht derzeit in der Türkei. In Deutschland ist so etwas in diesem Ausmaß politisch nicht vertretbar.
Die gesetzliche Grundlage für eine Verurteilung wegen Beleidigung ist hierzulande die ausdrückliche Absicht, eine Person oder Personengruppe herabzuwürdigen. Es geht also um das Motiv. Und nun kommen wir zum wesentlichen Punkt.
Lassen Sie uns an dieser Stelle prüfen, welche Absicht vorliegt. Was will und wollte Herr Böhmermann erreichen?
Hatte er unter dem Deckmäntelchen der Satire eine persönliche Beleidigung des Herrn Erdogan im Sinn?
Ich behaupte ganz klar: Nein, das hatte er nicht.
Wörtlich gesagt wurde, ich zitiere: Es wäre also eine Schmährede, wenn ich Folgendes sagen würde … das darf man nicht. Die Fernseh-Sendung war im Programm eindeutig als Satiresendung ausgewiesen und ist ein sattsam bekanntes Format. Damit genügte sie der Anforderung, eine deutlich kenntlich gemachte Satire zu sein.
Die Stilmittel der Überzeichnung und Provokation sind ebenfalls ganz klar als solche zu erkennen und in einem solchen Rahmen darf Satire genau das, was Satire ausmacht: sie ist ätzend, gemein und ins Lächerliche ziehend.
Fragen wir uns nun, was der Zweck von Satire ist:
Satire will in diesem Fall ein Zeichen setzen gegen die Einschüchterungspolitik eines Mächtigen, dem bisher im eigenen und auch in sonst keinem Land ein Riegel vorgeschoben wurde.
Satire versucht hier mit pennälerhaft überzeichnenden Vokabeln wie Klöten und Schweinefürze zu provozieren und Tabus brechen.
Ziel der Schmähkritik war und ist es, eine umfassende Diskussion, wie wir sie nun haben, auszulösen. Es ging niemals um die Person Erdogan, sondern um Pressefreiheit und das Recht auf Kritik in einem freien Staat. Die Justiz kann und darf nicht zum Instrument einer Person gemacht werden, die ihre Kritiker mundtot machen will. In Deutschland muss es Satire geben dürfen, das sind wir uns schuldig. Geschmacklos oder fein ironisch, das spielt hier keine Rolle und kann nicht Inhalt der Verhandlungen sein.
Über Geschmack kann man streiten, über die Rechtmäßigkeit von Satire in Deutschland nicht. Herr Böhmermann ist somit freizusprechen vom Vorwurf der persönlichen Beleidigung.“
Ein Raunen ging durchs Publikum und vereinzelt wurde applaudiert. Die Anwältin setzte sich wieder zu ihrem Mandanten.
Jan Böhmermann beugte sich lächelnd zu ihr hinüber und flüsterte „Gute Arbeit, Jessica. Deinen Türkei-Urlaub kannst du ab jetzt vergessen.“
Der Beitrag Wir lassen uns den Mund nicht verbieten erschien zuerst auf Schreibkurse & Schreibcoaching.