In einem meiner letzten Kurse hatte ich ein Erlebnis, das mich sehr bewegt hat. Denn ich erkannte, wie eng das Schreiben mit unserer eigenen Lebenseinstellung verbunden ist. Und diese auch verändern kann.
In einem meiner letzten Schreibkurse hier in Wien stand das Plot-Training auf dem Programm. Meine Kursteilnehmer hatten selbstständig erste Roman-Ideen ausgearbeitet, die wir nun gemeinsam in der Gruppe besprachen. Alle Ansätze hatten mit derselben Schwäche zu kämpfen:
Die Handlung tröpfelte vor sich hin. Die Hauptfiguren stolperten unmotiviert von einem Ereignis ins nächste. Der Ausdruck „es passiert etwas“ war in diesem Fall wortwörtlich zu nehmen. Dass die Figur einmal ein Ereignis von sich anstieß war eine Seltenheit. Fragte ich nach dem Ziel der Figuren, gab es großes Schulterzucken. Bestenfalls tauchte eine andere Figur auf, die der Hauptfigur sagte, was denn nun zu tun sei.
Mein viel gepredigtes Mantra „Handlung kommt von handeln“ nutzte wenig. Die Figuren handelten ja. Aber alle waren fremdbestimmt. Ich könnte es auch zugespitzt formulieren: Niemand war ein Held. Alle waren Sklaven.
Die Angst vor der Entscheidung
Der Moment, der alles veränderte, ereignete sich kurz vor dem Ende der Stunde. Uns blieben gerade noch 10 Minuten Zeit, um einen weiteren Plot zu besprechen. Es waren aber noch die Entwürfe von zwei Teilnehmerinnen über (und ich wusste, dass beide besprochen werden wollten). Ich fragte: „Wer will?“ Die Antwort war Schweigen. Währenddessen verstrich wertvolle Zeit. Ich fragte erneut. Mit demselben Ergebnis. Schließlich wurde ich wütend. Am liebsten hätte ich mit der Faust auf den Tisch gehauen. Ich riss mich zusammen, sagte jedoch sehr energisch: „Leute, bitte, jetzt seid doch einmal Hauptfigur! Wer will?“
Die Antwort kam nicht von den beiden verbleibenden Teilnehmerinnen, sondern aus dem Rest der Gruppe. Jemand nannte einen Namen der beiden. Sie nickte bestätigend. Die wenigen nach diesem Ringen noch verbleibenden Minuten nutzten wir für ihren Plot.
Auf dem Heimweg wurde ich nachdenklich. Woher kam diese spürbare Angst vor der Entscheidung? Ich fragte mich: Kann es sein, dass es uns so schwer fällt, eine Heldenfigur zu entwickeln, weil wir selbst nie gelernt haben, Helden zu sein?
Der goldene Käfig namens Komfortzone
Fakt ist, wir alle führen ein ziemlich unbeschwertes Leben. Es gibt eine Krankenversicherung, Arbeitslosengeld, Sozial- oder Notstandshilfe, fließendes Wasser, genug zu essen, kostenloses Internet, Schulpflicht, öffentliche Verkehrsmittel und Politiker, die zuverlässig an allem Schuld sind, das uns mal eben nicht in den Kram passt.
All das können wir haben, ohne groß etwas dafür tun zu müssen. Ständig ist jemand da, der dafür sorgt, dass wir etwas tun. Wir werden in die Schule geschickt. Die Schule schickt uns zur Berufsinformation. Die Berufsinformation schickt uns in unseren Job … Ja, sind wir mal ehrlich zu uns selbst, erkennen wir, dass wir ziemlich leicht ein relativ gutes Leben führen können, ohne Entscheidungen zu treffen. Aber der Haken ist: Wir sind nicht glücklich. Warum?
Weil Politiker die falschen Entscheidungen treffen? Weil Bänker uns um unser Geld betrügen? Weil andere einfach immer mehr Glück haben als wir? Ich denke, der Grund ist ein anderer:
Helden wachsen außerhalb der Komfortzone
Wagen wir den Bogen zurück zum Erzählhandwerk. Es gibt kein einziges Abenteuer das sich innerhalb dieser Komfortzone bewegt hat. Harry Potter hätte sich seinen Zieheltern beugen können. Hätte er nicht gezaubert und schön brav alle Regeln befolgt, er hätte es sicher einfacher gehabt. Harry Potter dachte aber nicht daran. Er rebellierte, ging nach Hogwarts und wurde mit dem Abenteuer seines Lebens belohnt.
Katniss Everdeen hätte sich nicht für ihre Schwester opfern müssen. Sie war bereits 17. Vielleicht hätte sie niemals an den Hunger Games teilnehmen müssen. Sie wagte es, verließ aus Überzeugung ihre Komfortzone und wurde die Anführerin einer gigantischen Rebellion.
Billy Elliot könnte ein relativ geregeltes Leben bei seinem Vater führen. Stattdessen bricht er mit ihm, nimmt Hänseleien und Verspottung auf sich und beschließt, seinem Herzen zu folgen. Sein Lohn ist die Erfüllung seines Herzenstraumes: Balletttänzer werden.
Niemand von ihnen wäre jemals darauf gekommen, zu warten bis jemand für sie Entscheidungen trifft. Sie sind stets vorangegangen, haben ihr Schicksal in die Hand genommen und ihre eigene Geschichte ins Rollen gebracht. Als Ersthandelnde (Hauptfigur = Protagonist = griechisch für den, der als erster handelt).
Die Geheimwaffe der Helden: das Ziel
Alle Heldenfiguren haben also eines gemeinsam: Sie haben keine Angst davor, Herausforderungen anzunehmen und sich Konflikten zu stellen. Sie gehen voran und stehen für ihre eigene Überzeugung ein. Sie würden niemals schweigen, wenn ich fragen würde: „Wer will?“ Im Gegenteil, Katniss Everdeen stellte sich, wohl wissend, dass es ihren Tod bedeuten könnte. Keine meiner Kursteilnehmerinnen war auch nur Ansatzweise von ähnlichem bedroht.
Aber woher nehmen Heldenfiguren ihre Kraft? Wie schaffen sie es, alles hinter sich zu lassen und ihre eigenen Ängste zu überwinden?
Heldenfiguren besitzen eine Geheimwaffe. Sie haben die vielfach unterschätzte Kraft entdeckt, die hinter einem Hilfsmittel steckt, auf das wir alle Zugriff haben. Heldenfiguren haben ein Ziel. Das Ziel schenkt ihnen Hoffnung und Zuversicht. Das Ziel gibt ihnen die Kraft, über sich hinauszuwachsen und Niederlagen zu ertragen. Das Ziel weist ihnen den Weg zu sich selbst, zum Klang ihres Herzens und zum Sinn ihres Lebens.
Was ist dein Ziel?
Warum es uncool ist, ein Ziel zu haben
Frage ich die Teilnehmer in meinen Kursen nach ihrem Ziel, ist die Reaktion nicht selten dieselbe wie auf meine Frage „Wer will?“. Traut sich doch einmal jemand, kommen häufig Antworten wie:
„Ich schreibe aus Spaß.“
„Ich schreibe erst einmal nur für mich selbst.“
„Ich würde gerne mal veröffentlicht werden, aber das ist ja unrealistisch.“
Really? Es ist nichts dagegen zu sagen, aus Spaß zu schreiben. Ich schreibe auch, weil es mir Spaß macht. Aber ihr tut euch einen mehrere hundert Euro teuren Kurs mit einem nörgelnden Lehrer an, weil ihr Spaß haben wollt? Ich glaube, ihr tut das, weil ihr tief in eurem Inneren wisst, dass ein größerer Traum in euch schlummert. Auf diese Vermutung hin antwortete mir im Schreibcafé eine Schülerin: „Ja, aber wenn ich das sage, werde ich ausgelacht.“
Yep. Das wird man. Genauso wie Harry Potter für seine Zauberei oder Billy Elliot für sein Ballett. Auch ich wurde ausgelacht, weil ich auf die Hochschule der Künste wollte, um mich für den damaligen Studiengang Musical/Show zu bewerben. Aus Angst vor dieser Reaktion halten wir uns klein. Wir trauen uns nicht mehr, Träume zu haben. Niemand will sich der Lächerlichkeit preisgeben.
Die Wahrheit dahinter aber ist: Auslachen ist wie mit den Füßen treten. Wer jemanden auslacht, will sich herausstellen als der Bessere, Erhabene. Auslachen sagt: „Ich bin wer und du bist niemand!“ Menschen lachen uns für unsere Ziele aus, weil sie insgeheim genau diese unbeschreibliche Macht spüren, die in ihnen steckt. Weil sie Angst haben, dass wir eines Tages über sie hinauswachsen könnten. Dass sie sich eines Tages eingestehen müssten, dass wir etwas erreicht haben, zu dem ihnen der Mut fehlt. Dass wir Chancen ergriffen haben und sie nicht.
Vorsicht Ausrede: Hindernisse und Gegenspieler
Der Grund, warum so viele Menschen mit ihrem Auslach-Verhalten bei uns erfolgreich sind, ist unsere Angst vor Hindernissen. Hindernisse bieten uns die perfekte Ausrede. Andere sind begabter als wir, haben die besseren Kontakte, die reicheren Eltern und sowieso einfach mehr Glück. Schwachsinn!
Es gibt absolut niemanden, der keine Hindernisse auf seinem Weg zum Erfolg bewältigen musste. Es gibt Menschen, die haben nur ein Bein und rennen dennoch schneller als ich. Bleiben wir beim Schreiben! Was wäre ein Abenteuer ohne Hindernisse? Niemand würde eine solche Geschichte lesen wollen. Hindernisse und Gegenspieler fordern unsere Hauptfiguren heraus. Sie machen sie stärker. Erst durch die Hindernisse werden sie zu dem, was sie sind?
Klar, wir alle hätten gern den Traumbody ohne einen Tropfen Schweiß. Aber ohne Gewichte stemmen geht es nicht. Die gute Nachricht ist: Stemmst du die Gewichte, bekommst du deinen Traumbody. So einfach ist das. 🙂
Die Hindernisse auf deinem Weg ans Ziel sind keinesfalls ein Indiz dafür, dass du scheitern wirst – im Gegenteil. Sie sind die Aufgaben des Trainingsplans, die du bewältigen musst, um dein Ziel zu erreichen. Nicht mehr und nicht weniger.
Die letzte große Frage: Tragödie oder Happy End?
Ich liebe Happy Ends. Umso bitterer ist die Erkenntnis über das Ende unseres eigenen Lebensweges. Wir alle werden sterben. Ohne Ausnahme. In Wahrheit können wir nicht einmal darüber entscheiden, wann oder wie wir sterben. Wir haben keinen Einfluss darauf, wann unser Weg enden wird. Aber wir können sehr wohl darüber entscheiden, ob wir ihn mit Krone gehen oder ohne.
Natürlich ist selbst der härteste Kampf keine Garantie dafür, sein Ziel zu erreichen. Im Leben kommt es immer anders als geplant. Aber hey: Wer will eine Geschichte lesen, die verläuft wie geplant? Welches Buch, das so endet, wie wir es erwartet haben, ist uns jemals positiv in Erinnerung geblieben? Christoph Kolumbus hat sein Ziel gnadenlos verfehlt und damit die Welt verändert.
Setze dir ein Ziel, geh deinen Weg, Kämpfe für deine Träume und freue dich auf ein Ende, das ganz anders sein wird als du es erwartest und gerade deswegen so verdammt genial. Folge deinem Herzen. Es wird dich überraschen!
Alles wird am Ende gut. Ist es das nicht, so ist es nicht das Ende.
Gehst du durch die Hölle, geh weiter!
Die Fabelmacht des Schreibens
Die Autorin Kathrin Lange hat kürzlich mit den Fabelmacht Chroniken eine berührende Fantasy-Geschichte über die Macht des Schreibens erzählt. Mit ihren Geschichten kann Mila die Wirklichkeit umschreiben und verändern. Nach jahrelanger Arbeit als Schauspieler, Autor und Schreibcoach glaube ich, dass diese Fabelmacht in jedem von uns steckt.
Schreibe Heldengeschichten! Lass deine Helden den Mut haben, für ihr Ziel einzustehen und um ihr Glück zu kämpfen. Lass sie vorangehen, als erste handeln, den Mut haben, Entscheidungen zu treffen, ohne wertvolle Zeit dabei verstreichen zu lassen. Sorge dafür, dass sie sich ihren Hindernissen stellen, dass sie Herausforderungen meistern und an ihnen wachsen.
Du wirst an der Seite deiner Helden durchs Abenteuer gehen, mit ihnen und von ihnen lernen. Jedes Hindernis, das sie verändert, wird auch dich verändern. Denn indem du ihnen beibringst, ein Held zu sein, wirst auch du es dir selbst lehren. Ihre Sicht auf die Welt wird die deine werden.
Schreibe deine eigene Wirklichkeit um. Sei die Hauptfigur in deinem Leben!
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